Die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts waren in allen Ländern rund um Italien geprägt vom Aufschwung nach dem Krieg. Ganz oben auf der Wunschliste der Bürger der gerade gegründeten Bundesrepublik Deutschland stand damals das Reiseland Italien. Das Mutterland des durch Federico Fellinis gleichnamigen Film weltberühmt gewordenen „dolce vita“, des süssen Lebens, lockt. Sonnen-Garantie, kilometerlange Strände und vergleichsweise exotische Küche ziehen vor allem junge Urlauber an.
Die Fahrt über die Alpen forderte damals alles von den Autos, egal ob Opel Rekord, Ford Taunus oder VW Käfer. Ebenfalls auf dem Weg Richtung Mittelmeer: eine erstaunliche Anzahl von Fiat 500, für viele Deutsche die individuelle Alternative zu einheimischen Produkten.
Mit 21,5 PS im Fiat 500 Sport von Gelsenkirchen an den Gardasee, von Rastatt nach Rimini oder von Köln nach Cattolica – nach heutigen Massstäben beinahe unvorstellbar. Dennoch meistert der quirlige, 1957 in Turin präsentierte Fiat 500 diese und ähnliche Aufgaben mit ebensolcher Bravour wie seine Insassen. Die staunen über das Durchhaltevermögen des liebevoll „Knutschkugel“ genannten Italieners. Dank Luftkühlung sind steile Alpen-Anstiege kein Problem für den Temperaturhaushalt des Zweizylinders. Heckmotor und -antrieb sorgen auf den manchmal sehr schlechten Bergstraßen für optimale Traktion.
In Urlaubsorten entlang der Riviera, am Gardasee oder auf der Insel Capri werden die deutschen Touristen mit teilweise erstaunlichen Umbauten ihres geliebten Reisemobils konfrontiert. So entledigt das berühmte Designstudio Ghia den Fiat 500 praktisch der gesamten Fahrgastzelle, ersetzt die Sitze durch Sisal-umflochtene Gartenstühle und spannt ein Sonnendach zwischen Windschutzscheibenrahmen und Heck - fertig ist der perfekte Strandwagen oder das Taxi für den kurze Weg von der Fähre zum Hotel.
Ghia und andere, in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts noch weit verbreitete Carossiers, haben schnell realisiert: Die genügsame Technik des Fiat 500 bietet sich geradezu an für die Arbeiten unabhängiger Karosserie-Werkstätten.
Vignale und Erina bauten zweisitzige Cabrios, Lombardi und die deutsche Firma Pop bauten ein Stoffverdeck ein. Ein von Viotti entworfener Roadster teilt mit seinem englischen Designpendant aus dem Hause Austin nicht nur den Spitznamen „Froschauge“. Ungeahnte Geländegängigkeit verleiht Fervès dem Fiat 500 durch einen zuschaltbaren Frontantrieb. Über das italienische Chassis stülpt der französische Geländewagenspezialist eine Cabrio-Karosserie im Stile eines Jeep.
An Autobianchi, einem der bekanntesten italienischen Kleinserienhersteller, ist Fiat direkt beteiligt. 1957, also praktisch gleichzeitig mit dem Fiat 500, stellt Autobianchi als erstes Produkt der neuen Marke ein Coupé namens Bianchina vor. Der elegante Mini-Zweisitzer verfügt über ein großes Rolldach und den bekannten 479 Kubikzentimter-Motor, der mit geänderter Luftkühlung bis zu 16,5 PS leistet. Noch mehr Frischluft lässt die Cabrio-Variante der Bianchina zu, die 1963 präsentiert wird. Der über 21 PS starke Motor des Fiat 500 Sport sorgt für durchaus flotte Fahrleistungen des zu seiner Zeit kleinsten Cabriolets der Welt.
Ebenfalls schon 1957 verblüfft Giovanni Moretti das Publikum mit seiner Designidee zu einem 500er Coupé. Mit einer Limousine und einem Kombi geht der Konstrukteur sogar soweit, das Antriebskonzept des Fiat 500 umzukehren – die auch optisch sich stark von ihren Vorbildern unterscheidenden Fahrzeuge verfügen über einen vorne eingebauten Motor und Frontantrieb.
Auch Steyr-Puch greift tief in die Technik des Fiat 500 ein. Die österreichische Marke konzentriert sich darauf, dem Fiat 500 für die Topographie des Alpenlandes besser geeignete Motor/Getriebe/Hinterachs-Einheiten einzupflanzen. Der serienmäßige Reihen-Zweizylinder wird durch einen selbst konstruierten Zweizylinder-Boxermotor mit anfänglich 650, später 660 Kubikzentimeter Hubraum ersetzt. Damit leistet die Straßenversion knapp 20 PS. Für den Motorsport sind sogar mehr als 40 PS drin. Klassensiege bei internationalen renommierten Veranstaltungen wie der Rallye Monte Carlo beweisen die Leistungsfähigkeit des Steyr-Puch 650TR.
Sogar in Deutschland werden Spezialvarianten des Fiat 500 gefertigt. NSU baut in Heilbronn in einem ehemaligen Fiat Werk hauptsächlich verschiedene Modelle des italienischen Herstellers (z. B. Fiat 1100 und Fiat Balilla) und von Autobianchi (z. B. Bianchina und Biancina Cabriolet). Eigene Wege gehen die Deutschen aber unter anderem mit einem auf dem Topolino beruhenden Spider und dem zweisitzigen Modell Weinsberg auf Basis des Fiat 500 D. Das mit viel Chrom geschmückte und zweifarbig lackierte Fahrzeug gibt es als Coupé und als eine Art Kreuzung aus Limousine und Coupé, der so genannten Limousette.
Nicht in die Serienfertigung schafft es ein weiterer Geniestreich der NSU-Ingenieure. Sie implantieren den 100 PS starken Motor eines NSU TTS in einen Fiat 500. Eine Spitzengeschwindigkeit von mehr als 190 km/h ist den Verantwortlichen dann aber doch des Guten ein wenig zu viel.
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