Montag, 5. November 2007

Karbon-Klingone - Lamborgini Revention in der AR

Die Automobilrevue hat den Lamborghini Revention testen dürfen und den Supersportwagen im Wert von einer Million Euro ausgiebig vorgestellt.

Zitat:
Nichts geht mehr: Der Lamborghini Reventón war noch vor Produktionsstart ausverkauft. Als kleines Trostpflaster berichten wir hier exklusiv, was das 1-Mio-Euro-Geschoss kann und wie es sich anfühlt.

Über 100 Stundenkilometer im ersten Gang und im Rücken zwölf brüllende Zylinder – wer bei dieser Kombination auf den Lamborghini Murciélago tippt, liegt richtig. Zumindest beinahe, denn was hier vorfährt, ist das wohl schärfste Gerät, das je aus Sant’Agata Bolognese und auf die Strasse kam.

Der neue Donnerkeil heisst Reventón, er feierte in Frankfurt seine Weltpremiere, wird nur 20-mal gebaut und ab Ende Jahr ausgeliefert. Trotzdem dürfte es ziemlich schwer werden, je einem Reventón – sein Name bezieht sich erneut auf einen Kampfstier, doch dieser hier lebte in den 40er-Jahren und tötete den Torero – zu begegnen: In Europa werden gerade mal sieben Autos bleiben, eines kommt in die Schweiz. Elf gehen in die USA, die restlichen beiden nach Dubai und Japan.

Technisch basiert die Kleinserie – wir haben es angedeutet – auf dem grossen Lambo-Modell Murciélago LP 640 (AR 22/2006); sie verfügt also ebenfalls über permanenten Allradantrieb und wird auch von einem längs vor der Hinterachse sitzenden 6,5-Liter-V12 mit 660 Nm Drehmoment bei 6000/min angetrieben. Einziger Unterschied: Im Reventón wächst die Leistung um zehn auf 478 kW/650 PS bei 8000/min. Was nichts anderes heisst, als dass man aus der laufenden Produktion für den Reventón herauspickt.
Solche Kleinigkeiten wären in dieser Klasse eigentlich kaum der Rede wert, zumal sich die Fahrleistungen – 0 bis 100 km/h in 3,4 s, Vmax 340 km/h – gegenüber dem «Murzie» nicht geändert haben. Doch der Neue ist der teuerste Lambo aller Zeiten, kostet eine Mio Euro plus Steuern Dieses Preisschild katapultiert ihn in den Top Ten der teuersten Volkswagen-Konzernmodelle hinter den Bugatti Veyron auf Platz 2.
Allerdings kostet der Reventón auch dreimal so viel wie ein Murciélago. Also hat die jüngste Kampfstier-Züchtung aus Sant’Agata neben ihrer Exklusivität noch ein paar weitere Goodies zu bieten. Eine komplett neue Karosserie zum Beispiel, die wie beim Organspender aus Kohlefaserverbund besteht, Letzteren aber fast schon brav aussehen lässt: Abgesehen von der Frontscheibe blieb beim Reventón nichts, wie es war; sogar die Scheinwerfer, Heckleuchten oder Felgen sind komplett neu entworfen worden.

Das Ergebnis ist für Kenner anhand der Proportionen zwar noch als Murciélago zu erkennen, aber optisch sehr eigenständig und spektakulär geraten. Was das Centro Stile Lamborghini hier abgeliefert hat, ist ein Tarnkappen-Jet mit Flügeltüren, aber ohne Flügel. Er könnte problemlos das Klingonen-Schiff in der Science-Fiction-Saga Star Trek mitspielen oder als Planeten-Shuttle auf Kampfstern Galactica. Auf jeden Fall handelt es sich um ein futuristisches Kunstwerk – je länger man hinschaut, umso mehr Sicken und Kanten lassen sich entdecken.
Man habe bewusst ein präzises, technisch anmutendes Design schaffen wollen, sagt der Hersteller, und die Licht- und Schattenspiele brächten enorme Bewegung in das Auto. Das stimmt absolut und hat seinen ganz speziellen Reiz, zumal diese rasende Skulptur ausschliesslich in einem matten Grauton lackiert ist. Und der steht dem 470cm langen, 206 cm breiten und 113,5 cm flachen Supersportler ausgezeichnet.
Auf zart besaitete Naturen wirkt der Zweisitzer dagegen wie eine Provokation, doch das nimmt der Edelhersteller aus Sant’Agata billigend in Kauf. Schliesslich, so wird man nicht müde, zu wiederholen, sei man die kompromissloseste Automarke der Welt. Da ist was dran, und weil Lamborghini trotz aktuellem Rekordzuwachs von 15Prozent – 2007 werden erstmals über 2350 Fahrzeuge im Jahr produziert – immer noch ein Nischenanbieter für echte Speedfreaks ist, geht das voll in Ordnung.

Trotzdem, auch auf Rennstrecken dürfte man den Reventón trotz seiner Talente kaum antreffen. Die meisten Sammlerstücke werden wohl in klimatisierten Garagen unter- und erst gegen Abgabe hoher Geldsummen wieder auftauchen. Schade eigentlich, denn der Tiefflug mit dem spacigen Italo-Raumschiff sorgt auf öffentlichen Strassen für allerlei kurzweilige Erlebnisse. Besonders bei der italienischen Jugend kommt der Reventón bestens an: Auf der Autostrada wurden wir per Handzeichen aus Puntos, Musas oder Polos des Öfteren aufgefordert, kräftig auf die Tube zu drücken.
Doch abgesehen davon, dass wir uns an geltende Tempolimits halten, wäre das gar nicht möglich gewesen, denn Lamborghini hat die Höchstgeschwindigkeit des Vorführ-Reventón aus Angst vor Konsequenzen bei 135 km/h an die elektronische Leine gelegt. Trotzdem hätte man sich den Einbau von Blinkern sparen können: Wo der Reventón im Rückspiegel auftaucht, stiebt der Verkehr ehrfürchtig-neugierig zur Seite: Allein die physische Präsenz des Autos ist seine Überholgarantie.

So schön ungewöhnlich der Reventón äusserlich auch ist – seine Besatzung hat weniger davon als das allerorts staunende Publikum. Und deshalb hat sich Lamborghini auch im ganz mit Leder, Alcantara, Aluminium und Karbon ausgekleideten Innenraum etwas Besonderes einfallen lassen. Dort blickt der Pilot nicht auf Analoginstrumente, sondern zwei TFT-Bildschirme, die in einem neuen Gehäuse sitzen und auf denen alle relevanten Fahrzeuginformationen angezeigt werden. Die dafür notwendige Elektronik wurde komplett von Lamborghini entwickelt.
Völlig neu ist ein G-Force-Meter, das die Querbeschleunigung darstellt. Alle sehr modern anmutenden (und unserer Meinung nach weniger gut ablesbaren) Piktogramme sollen an Hochleistungsflugzeug-Instrumente erinnern. Wem das zu viel ist, der drückt auf einen Knopf und erhält alle Informationen in einer analog anmutenden Grafik, die zudem sehr hübsch gezeichnet und im Fahrbetrieb deshalb zu bevorzugen ist.
In Bewegung gibt sich der Reventón erwartungsgemäss laut schnaubend, aber er verhält sich weder bösartig noch unberechenbar. Auch die Lenkung – sie ist etwas hart, aber ehrlich – erlaubt für ein Auto dieser Grösse (die Reifen haben die Dimension 245/35 ZR 18 vorne und 335/30 ZR 18 hinten) recht schnelle und präzise Richtungsänderungen. Lamborghini ist es gelungen, aus dem vor Jahren noch grobschlächtigen Ur-Murciélago ein leichtfüssigeres Auto zu machen, und auch im Reventón gerät Stop-and-go-Verkehr nicht zur Tortur.
Nur das Rückwärtseinparken ist nach wie vor eine Übung für Profis, weil die Sicht nach hinten bescheiden ausfällt. Da bietet sich die alte Lambo-Sitte an, mit den Fussspitzen an den Pedalen bei offener Tür und halb auf dem Schweller sitzend zurückzusetzen.
Gröbere Fahrbahnunebenheiten mag der Reventón nicht. Damit sind nicht nur Spurrillen gemeint, denen er gelegentlich gerne nachläuft – das Lenkrad will immer mit fester Hand geführt werden –, sondern auch solche Verwerfungen, die Kontakt mit dem lediglich 13 cm hohen Karbon-Frontsplitter aufnehmen könnten. Hier hilft neben der vorausschauenden Fahrweise ein Vorderachslift (plus 5 cm), der dem gut 1700 kg schweren Fahrzeug über Hindernisse wie Bordsteine oder steilere Parkhausrampen hinweghilft.

Aber wir wollen den Reventón noch nicht abstellen, sondern herausfinden, ob er sich auch anders anfühlt als ein Murciélago. Die subjektive Antwort ist Nein und alles andere als eine Enttäuschung. Denn auch Lamborghinis Tarnkappenbomber geht so infernalisch zur Sache, als gäbe es kein Morgen. Trotz seines gewaltigen Hubraums will auch der Super-Murciélago gedreht werden; der rote Bereich beginnt bei 8000/ min. Und der Reventón dreht mühelos, schreit dabei durch einen unverschämt grossen Auspufftopf, in dem fast schon ein Smart unterkäme.
Immer wieder toll ist Lamborghinis automatisiertes (und auch im Reventón optionales) E-Gear-Getriebe, das die Gänge schnell, aber nicht übertrieben hart reinknallt. Das funktioniert so perfektioniert, dass man eine manuelle Schaltung überhaupt nicht mehr haben mag – zumal E-Gear beim Herunterschalten wohldosiert Zwischengas gibt. Und es scheint fast selbstverständlich, dass die Reventón-Schaltpaddel am Lenkrad aus Kohlefaser bestehen.
Wer es schnell angehen will, sollte allerdings mit Vorsicht zu Werke gehen: Der Reventón hat kein ESP und verlangt im Grenzbereich kundige Hände, vor allem bei Nässe. Aus Mangel an Gelegenheit muss uns Lamborghini-Testfahrer Mario Fasanetto über das Fahrverhalten bei hohen Geschwindigkeiten berichten: «Dank der besseren Aerodynamik ist das Auto ab 180 km/h ausbalancierter, liegt spürbar besser als der Murciélago.» Das kann man sehen: Beim Reventón sind sowohl der hintere Überhang länger als auch der Heckspoiler – er klappt bei Tempo 130 automatisch nach oben – grösser ausgefallen.
Nun beschleunigt das Auto nicht nur wie der Teufel, es bremst auch so brutal, dass Insassen einen starken Magen haben sollten. Das ist nichts Neues bei Lamborghini, und so bleibt abschliessend nur folgendes Urteil: Der Reventón zählt fraglos zu den extremsten Supersportwagen, die es derzeit gibt, und er folgt damit der Tradition des Hauses. Das macht seine Faszination und teilweise auch den hohen Preis aus. Nicht zuletzt verjüngt er die Modellpalette und steigert das Markenimage, was ganz im Sinne von Lamborghini-Vorstand Stephan Winkelmann ist: 2008 soll ja erneut ein Rekordjahr werden.


Den Artikel finden Sie in der Ausgabe 44/2007 der «Automobil Revue», welche Sie natürlich auch online abonnieren können.

http://www.automobil-revue.ch/artikel_20369.html

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